Von Great Britain in die Bretagne

Jetzt steht die mit Aufregung erwartete Biskayaüberquerung an und Alfred, Winne und Johanna beratschlagen lange über die Wetterbedingungen. Das berühmte Azorenhoch mag sich einfach nicht etablieren. Im Gegenteil, alle zwei bis drei Tage ziehen Tiefdruckgebiete durch die Biskaya und ein Ende dieser Achterbahn ist nicht abzusehen. Also verwerfen wir unseren Plan, von Falmouth direkt die galizische Küste anzusteuern. Wir werden zunächst den Englischen Kanal queren und einen Zwischenstopp in der Bretagne einlegen. Dort wollen wir ein heranziehendes Tief abwettern um anschließend für die eigentliche Biskayaüberquerung hoffentlich ein geeignetes kurzes Wetterfenster erwischen.

Wir legen früh am nächsten Morgen ab. Der Himmel ist bewölkt und zunächst haben wir wenig Wind. Das ändert sich aber rasch, wir beginnen zu reffen und um 11:30 Uhr binden wir bei 18 kn ONO das dritte Reff ein… Die Wellen sind 3 m hoch und treffen jetzt im rechten Winkel auf die schönen, aus Westen kommenden Atlantikwellen, so dass eine äußerst unangenehme Kreuzsee entsteht. Johanna wird seekrank und liegt ein paar Stunden im Salon auf dem Boden – dem ruhigsten Ort auf dem Schiff. Dann geht es wieder und wir nehmen die Stullen in Angriff, die wir glücklicherweise vorbereitet haben.

Im Laufe des Abend schwächt der Wind ab und dreht auf SO. Wir sehen im Abendlicht Delfine, die uns eine kurze Weile begleiten und erholen uns etwas von den anstrengenden Segelbedingungen des Tages. Alfred, Winne und Johanna sind noch nie als Besatzung zusammen gesegelt, also müssen wir den Wachrhythmus verhandeln. Wir ergänzen uns dabei erstaunlich gut. Winne ist Nachtmensch und daran gewöhnt, erst im Morgengrauen ins Bett zu gehen. Er übernimmt die Wache von Mitternacht bis 3 Uhr. Johanna schläft gerne vor ihrer Wache, hat aber kein Problem damit, früh aufzustehen und löst Winne um 3 Uhr ab. Alfred hat den ganzen Tag die Verantwortung des Skippers und muss dafür nur von 21 Uhr bis Mitternacht Wache gehen. Alle sind glücklich mit dieser Lösung. Trotzdem sind die ersten 24 Stunden sehr anstrengend. Der Seegang bleibt so unruhig, dass auch in den Freiwachen das Schlafen sehr schwer ist. Tagsüber sind wir damit beschäftigt uns festzuhalten und die einfachsten Alltagsangelegenheiten wie essen, trinken und Toilette über die Bühne zu bringen. An schönen Zeitvertreib mit Lesen, Bloggen oder Fotos sortieren ist nicht zu denken.

Am Abend bergen wir gegen 22 Uhr die Segel, weil sie im schwachen Wind (SW 3) nicht mehr stehen und durch den Seegang unaufhörlich schlagen. Wir fahren unter Motor und können erst um 3 Uhr die Segel wieder setzen. Um 11 Uhr am nächsten Tag drehen wir endlich in die Bucht von Camaret-dur-Mer ein. Diesen Hafen haben wir uns ausgesucht, weil das Örtchen sehr schön sein soll und wir so den Umweg nach Brest vermeiden. Wir machen längsseits in der Marina Notic fest, und freuen uns auf eine schöne Dusche. Zuvor hat sich der Hafenmeister allerdings ein Hindernis der besonderen Art ausgedacht – trotz bekanntem Code…

Nachmittags erkunden wir die wunderschöne Umgebung. Wir liegen am Kai vor der Ortsmitte von Camaret und entlang der kleinen Hauptstraße reiht sich ein Straßencafé an das andere. Es gibt zwei boulangeries, die ausprobiert werden wollen, und einen Hypermarché, der uns zum Staunen bringt. Das Sortiment dieses Supermarkts entspricht etwa dem kombinierten Warenangebot eines sehr gut sortierten Delikatessenladens, eines Kaufhauses und eines Baumarkts in Deutschland. In der Zweiten Reihe des Zentrums befinden sich eine Vielzahl von Galerien und Ateliers und wir sehen ein paar schöne Sachen, die wir natürlich leider nicht mitnehmen könnten. Abends schlendern wir am Kai entlang und probieren in einer der vielen crêperies herzhafte Versionen dieses bretonischen Nationalgerichtes und die mit salzigem Karamell. Sehr lecker!

Das Brentonische fasziniert uns auch sonst. Die regionale Identität der Bewohner ist ausgeprägt. Auf vielen Autos prangt das BZH für Breizh, Bretagne auf bretonisch. Fast alle Boote sind mit der bretonischen Flagge, dem Gwen Ha Du versehen und auch wir beeilen uns, eine bretonische Gastflagge unter der französischen zu hissen. Wir sind übers Meer und aus Britannien in die Bretagne gekommen und die Verbindung dieser Landschaften und Menschen leuchtet uns ein.

Das bretonische Selbstbewusstsein beeindruckt noch einmal im Gruß Be Breizh, Viel Glück! – wörtlich übersetzt: Darauf hoffen wir beim Ablegen am Morgen des dritten Tages für den Weg über die Biskaya.