Classy Solvent


Auf dem Solvent geht es also wild zu. Es werden in jeder Himmelsrichtung Regatten gefahren und die Toleranzgrenze für Schiffsannäherungen schrumpft bei allen Beteiligten anscheinend drastisch. Als uns schließlich ein Luftkissenboot aus Portsmouth kommend mit orkanartigem Brüllen passiert, schwindet die Sehnsucht nach dem Schwachwindsegel.
Johanna verbringt einen beträchtlichen Teil des Schlags hinter dem Funkgerät, denn uns wurde prophezeit, dass die Gastliegeplätze in Cowes, dem britischen Epizentrum des Segelsports auf der Isle of Wight, an einem so schönen Sommerwochenende gegen Nachmittag knapp werden dürften. Und tatsächlich, keiner antwortet – nur gelegentlich ist dem vielstimmigen Rauschen und Knarren aus dem Lautsprecher zu entnehmen »…we are extremely busy at the moment…« oder »…we are rafting already…«. Nicht sehr ermutigend. Doch wir haben Glück und ergattern in der etwas dezentral gelegenen East Cowes Marina eine Box. Das Anlegemanöver ist kein Highlight – was eigentlich passiert ist, lässt sich kurz darauf kaum noch rekonstruieren. Jedenfalls findet sich Johanna unversehens an der Außenseite der Moana Blu und in schmerzhafter Nähe zu einer fremden Bordwand wieder – vom vollendeten Überbordgehen nur abgehalten durch einen tatkräftigen älteren Segler aus dem Boot nebenan, der taktvoll behauptet, genau das Gleiche sei ihm erst letzte Saison auch passiert. Die Stimmung ist etwas gedrückt, aber als die Knie aufhören zu zittern geht’s wieder.

Wir fahren mit der kleinen Fähre auf die andere Seite des Medina, der Cowes in einen Ost- und einen Westteil teilt. Das Städtchen ist beschaulich, die meisten Geschäfte schließen um 16:30 Uhr, und gleichzeitig liegt extrem viel Segelfieber in der Luft. Gruppen Gleichaltriger, die man gewohnheitsmäßig schon fast als JunggesellInnenabschiede abhaken will, sind in Wirklichkeit Crews von Yachten, die in einer der Marinas liegen. Es werden mehrere Regatten für den nächsten Tag vorbereitet und in den Läden der Yachtausrüster wird gefachsimpelt. Wir finden bei Pascall Atkey & Sons Ltd. eine Dose Lackfinish Perfektion International Mauritius Blue, die wir erleichtert bunkern – es soll auf der Reise schon zu Schrammen gekommen sein…

Ein schöner, sonniger Abendspaziergang führt uns zum Hafen des weltberühmten Royal Yacht Squadrons. Das RYS ist Teil des Namens seiner Mitglieder und diese haben die Ehre, die Seekriegsflagge White Ensign setzen zu dürfen, was sonst, nun ja, Kriegsschiffen vorbehalten ist. Ein ganz spezieller Club, das. Von der Terrasse, die mehrere Meter über der Straße liegt, erklingt feinstes Oxfordenglisch und Exklusivität wird auch mit den echten historischen Kanonen demonstriert, die hier den Startschuss für die Clubregatten abgeben. Im Revierführer werden wir gewarnt hier nach einem Liegeplatz zu fragen, sollten wir nicht eine persönliche Einladung der Queen zum Tee vorweisen können. Ja, um es mit William Falconer, dem segelnden britischen Poeten, zu sagen: »The accumulation of numbers always augments in some measure moral corruptions.« Dieses Risiko mag man hier nicht eingehen.

Auf diese Erfahrung hin gehen wir erst mal Fish and Chips essen. In Cowes werden sie bei Totties Fish & Chips in Verbrüderung mit Kebab und in nahöstlichem Flair serviert.


Am nächsten Tag ziehen wir weiter – und das ganz gerne, Cowes ist wirklich turbulent. Selbst an unserer letzten Station, dem fuel pontoon drehen wir lange Kreise bis wir an der Reihe sind. Wir haben einen schönen Schlag vor uns, der uns an den berühmten Needles, postcard perfect Felsformationen vor der Isle of Wight, vorbei führen wird.